Varel: Schlosskirche St. Petri

Kanzel

1613

Auftraggeber und Stifter: Anton II. (1550–1619), Graf von Oldenburg-Delmenhorst und seine Gemahlin Sybille Elisabeth, Herzogin von Braunschweig-Lüneburg-Dannenberg (1576–1630)

Material: Sandstein, Alabaster, Eichenholz
Maße: H. 146 cm (Korpus ohne Baluster), H. 332 cm (Portal)
H. 140 cm (Ecclesia, ohne Sockel)
H. 89 cm, B. 72 cm (Tür)

Zustand: Am Ende des 18. Jahrhunderts wurde der Träger des Kanzel-Korpus durch einen Baluster über quadratischem Grundriss ersetzt, der auf seinen vier Seiten mit Akanthus-Blättern bedeckt ist. Vor 1909 wurde der Schalldeckel entfernt und verkauft. 1909 fehlen zwei Propheten-Figuren und die mittlere und rechte Figur auf dem Kanzelportal. 1912/13 werden vom Bildhauer Wilhelm Larssen (1861–1913) sämtliche skulpturalen Alabaster-Arbeiten, bis auf die Figur des Jesaias, erneuert, ergänzt oder neugeschaffen. Die fünf für die ausladenden Podeste des Gesimses am unteren Abschluss der Kanzel-Brüstung neukonzipierten Sitzfiguren, die offenbar Originale Münstermanns ersetzen sollten, als solche jedoch durchaus gültige Kunstschöpfungen ihrer Entstehungszeit waren, wurden mit der Fides vom Portal anlässlich der Restaurierung des Altares in den Jahren 1961–63 entfernt und wurden im Pfarrarchiv aufbewahrt. 2013 ist lediglich die signierte Fides vorhanden und zwei originale sandsteinerne Fragmente eines der Putti von der Treppen-Brüstung.

Ein im Stile Münstermanns historisierend gestalteter Schalldeckel wurde 1993 aus lasiertem holzsichtigen Eichenholz angefertigt und an dem abgeplatteten Vierungspfeiler angebracht, um der bekrönenden Gestalt der „Ecclesia“ ihren angestammten Platz wiederzugeben.
Der zur gleichen Zeit 1993/94 auf den Wandanstrich neugemalte hinterfangende Baldachin erfüllt zwar seine ästhetische Aufgabe, Deckel und Korpus kompositorisch und bildlich zu verbinden, entspricht jedoch in seiner stilistischen Gestaltung einer weitaus späteren Zeit. Man kann jedoch annehmen, dass auch schon zur Zeit Münstermann eine derartige malerische zusammenschließende Wandgestaltung vorgenommen wurde.

Fassung: 1961–62 wurde die ältere Farbfassung dem hergestellten Erscheinungsbild des Altares angeglichen, eine detaillierte Befunduntersuchung und Dokumentation ist damals aus Zeitgründen unterblieben. Es ist denkbar, dass der ursprüngliche hölzerne Deckel mit der Ecclesia steingrau gefasst war, um eine ästhetische Angleichung an den Korpus aus Sandstein und Alabaster zu bewirken; denn noch im 19. Jahrhundert wird er als „steinern“ bezeichnet.
Signiert und datiert: Meisterschild mit Steinmetzzeichen Münstermanns, umgeben von den Initialen L / M (seitlich) und B (unten für: Bildhauer) und den Bildhauerwerkzeugen, gehalten von seitlichen Putten: Hohl- und Stemmeisen gekreuzt (links), Klöpfel (rechts), dazu ein schwingendes Spruchband, das die erhaben gemeißelte Signatur trägt: M. LUDEWICH / MUNSTERMAN[N].
Auf dem Stein in vertieft geschnittenen Buchstaben weiter: V. HB [ d.i.: Von HamBurg] / FECIT und 16 / 13 .

Ludwig Münstermann

In der Brüstung des sechseckigen Korpus sind fünf Muschelnischen ausgebildet, in denen die Figuren der vier großen Propheten stehen, nur die des Esaias unter dem Lesepult ist ein Original von Münstermann. Auf den unter den Ecken auskragenden Podesten des Basisgesimses saßen die Figuren der Evangelisten; unter ihnen schwingen sich die Körper von fünf weiblichen Tugenden mit ihren Attributen nach vorn. An der Treppenbrüstung befinden sich gedrängt die Stand- und Sitzfiguren von vier Kirchenvätern und des Hl. Bernhard. Den Giebel des Treppenportals krönen die Kardinaltugenden Glaube, Liebe, Hoffnung (neu und ergänzt von Larssen).
Auf der Spitze des Schalldeckels beeindruckt die große Figur der Ecclesia mit dem Modell der Schlosskirche St.-Petri.

 

 

 

 

 

Altar

1614

Auftraggeber und Stifter: Anton II. (1550–1619), Graf von Oldenburg-Delmenhorst und seine Gemahlin Sybille Elisabeth, Herzogin von Braunschweig-Lüneburg-Dannenberg (1576–1630)

Material: Alabaster, Eichenholz
Maße: H. 977 cm, B. 530 cm, B. 359 cm (Predella)

Zustand: In den Seitenachsen des ersten bis dritten Geschosses waren, um den Aufbau des Altares statisch zu stabilisieren, die Tabernakel mit den Figurennischen mit Brettern aus Linden- oder Nadel-Holz hinterfangen; dieselben wurden 2005 jedoch endgültig entfernt. Das Ergebnis ist von überwältigender Schönheit: Die ursprünglich intendierten Durchbrüche des Altaraufbaus für das von Osten einfallende Licht, welches die ornamental geführten reichen Rahmenkonturen im einzelnen brilliant aufblitzen lässt, oder auch ihre Materie überstrahlt und in der Schwere gänzlich verzehrt, ist wiederhergestellt, und damit entsteht der Eindruck eines wie überirdischen Schwebens der statisch gebauten Architektur.
Ein Meisterschild, ehemals vermutlich angebracht auf dem oberen Abschluss-Gesims des Mittelteils der Predella ist verloren.
Die Abendmahlsbank der Wein-Seite wurde 1979 nach dem Vorbild der erhaltenen auf der Brot-Seite spiegelverkehrt kopiert.
Bis 1962 stand rechts und links des Altares je ein holzvergitterter Beichtstuhl, liturgische Orte, die von die Gläubigen zum Empfang des Sakraments aufgesucht werden mussten, bevor sie am Abendmahl teilnehmen konnten; sie gehörten zur verbindlichen Ausstattung des Altarraumes in der St.-Petrus-Kirche zu Beginn des 17. Jahrhunderts.
Das originale Chorgitter wurde, nach der Quelle von 1860 zu schließen, offenbar im Zusammenhang mit der „Renovirung“ des Altars im Jahre 1817 entfernt

Fassung: Eine Übermalung von 1817, in rot und weiß marmoriert und auf einem historischen Foto überliefert, wurde 1912–14 abgenommen (abgelaugt) und durch eine neue mit brauner Ölfarbe ersetzt. In den Jahren 1961–62 wurde der Altar nach detaillierter Befunduntersuchung restauriert und neu gefasst (3); die Alabaster-Arbeiten wurden freigelegt, restauriert und an wenigen Fehlstellen ergänzt, der Kruzifixus nach Vorbild des Werkes aus Holz am Altar in Rodenkirchen aus Alabaster neu geschaffen; die dabei gefundenen originalen Vergoldungen an Haaren, Attributen, Nimben und Gewandsäumen auch auf den Figuren der Reliefs wurden in ihren Resten gefestigt, desgleichen Grünfärbelungen auf den Landschaftsgründen der Reliefs mit Malachit.
Bei den Holzoberflächen wurden die Befunde vom Restaurator offensichtlich falsch interpretiert und daraufhin, trotz heftigen Widerspruchs der zuständigen Denkmalpfleger, eine verfälschende Neufassung über flächendeckendem Kreidegrund aufgebracht. Eine schon damals vermutete lasierte Holzsichtigkeit auf vielen architektonischen aber auch ornamentalen Teilen, wie sie bei den grundlegenden Restaurierungen von Altar und Kanzel in Rodenkirchen nachgewiesen und rekonstruiert worden ist, mit sparsamen dünn aufgetragenen Farben, Gold und Lüstrierung, ist also auch für die Werke in Varel anzunehmen.
2005 erfolgte eine mechanische Reinigung vom Gerüst aus, Festigung und Retusche von geringen Fehlstellen an den Inschriftkartuschen und die Ergänzung eines Papageis an der Predella.
Datierung:  ANNO / 1614

Ludwig Münstermann

Das Retabel erhebt sich in vier Geschossen über der Predella auf die Höhe von zehn Metern und überragt damit alle übrigen Altäre Münstermanns. Der Altar in Varel ist der wohl monumentalste, aufwendigste, motivreichste und kunstfertigste unter den vergleichbaren späteren Altären Münstermanns, zu denen auch die verlorenen in Abbehausen, Stollhamm und Delmenhorst gehören.

In der Mittelachse wird der Erlösungsweg Jesu in der Abfolge von unten nach oben thematisiert: Geburt und Hirtenanbetung, Einsetzung des Abendmahles, Kreuzigung, Auferstehung, Himmelfahrt. In der allein räumlich.malerisch und plastisch dargestellten Kreuzigung mit der übergroß davorgestellten ganzvergoldeten Bundeslade überlagern sich die Bildprogramme “Gesetz und Gnade” und “Gnadenstuhl” als theologisch-sinnbildhafte Mitte der Komposition.
Auf den Flügeln im Hauptgeschoß befinden sich die Reformatoren-Bildnisse von Luther und Melanchthon über den Stifterwappen. In dieser Ebene sind die Figuren von sechs Aposteln eingestellt, die übrigen verteilt auf die folgenden Obergeschosse in den Seitenachsen. Dazu im äußeren Kreis die Tugenden, Engel mit den Passionswerkzeugen und auf den Trommeln der vier Hauptsäulen ein musizierender Puttenreigen; ein Schwarm Papageien pickt an üppigen Blüten- und Fruchtfestons. Auf der Spitze der segnende Salvator mit der Weltkugel.

 

Gehäuse der Orgel

1615

Auftraggeber und Stifter: Anton II. (1550–1619), Graf von Oldenburg-Delmenhorst und seine Gemahlin Sybille Elisabeth, Herzogin von Braunschweig-Lüneburg-Dannenberg (1576–1630)

Material: Eichenholz
Maße: unbekannt

Zustand: 1613 beauftragt Graf Anton II. den Lüneburger Orgelbauer Christian Bockelmann mit dem Neubau der Orgel, die 1615 fertiggestellt wird. Sie ist zweimanualig und besteht aus Hauptwerk und Rückpositiv. 1638 wird ein Pedal hinzugefügt, dessen Gehäuse von dem Bremer „Schnitzer“ Johann Kruse gefertigt ist. 1861 wird für einen gänzlichen Neubau der Orgel durch die Firma Furtwängler das vorhandene Werk mit dem überkommenen Gehäuse mit Prospekt von Münstermann abgerissen. Es blieben in Privatbesitz erhalten zwei steigende Löwen mit den Wappen der Auftraggeber (heute an das Gehäuse der Schuke-Orgel versetzt) und die Figur des Apoll mit der Leier (heute in der Skulpturensammlung der SMPK Berlin ).
Weiter erhalten ist die bemalte Inschrifttafel von der Brüstung der Orgelempore mit dem plattdeutschen Text des Psalms 150.

Zuschreibung an Ludwig Münstermann

 

Apollo

1615

Material: Eichenholz
Maße: H. 98 cm

Zustand: Die Zehenspitzen des rechten Fußes abgestoßen, die Finger der linken Hand abgebrochen, die Leier verloren; die Fassung abgelaugt, originale Reste: grüne Lüstrierung an Riemen und Mantel.
Standort: Skulpturensammlung SMPK Berlin, Inv. 2/63.
Provenienz: In Privatbesitz des Baunternehmers Anton Bohlken, der 1861 die Orgel abbrach und Teile des Gehäuses für 150 Mark aufkaufte; danach in Vareler Privatbesitz; um 1960 Privatbesitz Dr. Herbert Wolfgang Keiser, Oldenburg.

Als Vorlage könnte ein Kupferstich von Goltzius gedient haben, den Münstermann jedoch gänzlich dem neuen Bedeutungszusammenhang an seinem Orgelgehäuse anverwandelt hat. Denn hier wurde er in die wettstreitende Opposition zur Figur des die Harfe spielenden Psalmisten David gestellt, dessen himmlischer Musik er sich beugen muss. So wird aus der triumphierenden Selbstdarstellung des Goltzius eine ergebene, ja glaubend anerkennende Bescheidenheit bei Münstermann. Dieser humanistisch-philosophisch-theologische Dialog war vorbereitet mit dem Gehäuse für die Scherer-Orgel in der Schlosskapelle in Rotenburg/Wümme, das Münstermann 1608 für Philipp Sigismund von Braunschweig-Wolfenbüttel gefertigt hatte. Dort musizieren die Protagonisten als Sitzfiguren auf den gegenüberliegenden Spitztürmen des Prospekts. In Varel jedoch sind sie als Standfiguren konzipiert, für deren Aufstellung eine besondere Lösung gefunden werden musste.

 

Grafenstuhl

1616

Auftraggeber und Stifter: Anton II. (1550–1619), Graf von Oldenburg-Delmenhorst und seine Gemahlin Sybille Elisabeth, Herzogin von Braunschweig-Lüneburg-Dannenberg (1576–1630)

Material: Eichenholz
Maße: unbekannt

Zustand: Die Gestalt des Grafenstuhles als Gehäuse für den repräsentativen Platz des Stifterpaares und seiner Familie zur Teilnahme am Gottesdienst ist leider nicht überliefert. Seinen Abbruch im Jahre 1880 überlebten lediglich die bekrönende Fama-Figur in der Kirche und Teile der Brüstung mit zwei Gruppen von zugehörigen Masken-Kopfkonsolen im Landesmuseum Oldenburg. Denkbar ist zudem, dass auch die Wappen-Löwen, heute dem verlorenen Orgelgehäuse zugeordnet, zum Grafenstuhl gehörten, wie das Beispiel in Delmenhorst zeigt.

Zuschreibung Ludwig Münstermann

 

Fama

1616

Material: Eichenholz
Maße: H. 92 cm, B. 62 cm (mit Flügeln)

Zustand: 1962 analog zur Fassung des Altares neu gefasst; ein Zustandsfoto nach Abnahme der vorherigen Bemalung belegt eine vergleichbare gänzlich grau-weiß lasierte Oberfläche wie bei der Ecclesia vom Kanzeldeckel.
Standort: An der Westwand des Langhauses.
Aus dem Gewölbe der Kirche schwebte die allegorische Figur der Fama über dem Sitz des Patrons und Beschützers der Kirche und Bewahrers des rechten Glaubens in seinem Territorium herab, um seinen Ruhm und Nachruhm zu verkünden, der sich aus Wahrem und Falschem zusammensetzt und deshalb aus zwei Posaunen tönt.

 

Drei Felder Priechenbrüstung und sieben Konsolenköpfe

1616

Material: Eichenholz (Rahmung der Felder und Konsolköpfe), Tannenholz (Bildtafeln)
Maße: H. 150 m, B. 228 cm (Brüstung); H. 21,4–22,2 cm (Konsolköpfe)

Zustand: Die architektonischen Teile der Brüstung sind offenbar barock überfasst; ebenso die beiden später hinzugekommenen Puttenköpfe, bei beiden sind die Federvoluten des unteren Abschlusses abgebrochen; bei den übrigen Konsolen Reste der originalen Lüsterfassung erhalten.

Die Engelkonsolen, ob im Inneren oder am Äußeren des Grafenstuhles angebracht, dienen desgleichen einer Hervorhebung und Charakterisierung des ausgezeichneten Ortes; die Narrenköpfe geben Hinweis auf den höfischen Zusammenhang: der Narr darf als Einziger am Hofe die Wahrheit – auch die unangenehme und provozierende - aussprechen; er kann der eigentlich Weise sein, wie der angeblich Weise der Narr; und auch hier gibt es Gegensätze zwischen dem guten und dem bösen Willen in seinen Absichten, die der Herrscher unterscheiden muss. Die Kopfkonsolen als Einzelwerke gehören zu den bedeutendsten Zeugnissen für den persönlichen Stil und die künstlerische Ausdrucksstärke des Bildhauers Ludwig Münstermann innerhalb seines gesamten plastischen Werkes.
Leider bleiben trotz der Beschreibung von 1860 und der erhaltenen und identifizierten Fragmente Gestalt und Größe des gräflichen Gestühls unbestimmt. Die Form und Dekoration der Säulen sind durchaus mit sehr ähnlichen Beispielen an den Obergeschossen des Altars vergleichbar. Unbekannt bleibt der nach graphischen Vorlagen arbeitende Maler der Bildtafeln, ob beauftragt vom Bildhauer oder dem Stifter.

 

Taufbecken mit Deckel

1618

Auftraggeber und Stifter: Anton II. (1550–1619), Graf von Oldenburg-Delmenhorst und seine Gemahlin Sybille Elisabeth, Herzogin von Braunschweig-Lüneburg-Dannenberg (1576–1630)

Material: Sandstein, Alabaster (Becken); Eichenholz, Weichholz (Deckel).
Maße: 107 cm, D. 81 cm (Becken); H. 140 cm, D. 105 cm (Deckel).

Zustand: Kurz nach 1900 beschloss die Kirchengemeinde das demolierte Taufbecken wiederherzustellen. Bis auf die Figur des Johannes d. T. und eine Engelsfigur sind 1905 alle Werkstücke aus Alabaster durch Bildhauer Richter in der Firma Heinrich Boschen, Oldenburg, in Speckstein ersetzt worden; dabei wurden die Fragmente der Originale in Gips abgegossen und die Ergänzungen anmodelliert, um Vorlagen für die Kopien herzustellen. Die Original-Teile sind verloren, zwei der Gipse (bemalt) in Privatbesitz erhalten, vier unbemalte Gipse aus Privatbesitz von der Kirchengemeinde 2019 erworben. Offenbar wurde die plastische Dekoration der Kuppa nach erhaltenen Fragmenten und anderen Vorbildern historistisch neu erfunden.
Die Wiederaufstellung des Taufbeckens erfolgte 1963 in der Mitte des Chores wie ursprünglich dabei Neufassung in Anlehnung an den Altar im Rahmen der Restaurierung 1961–63.
Der hölzerne Deckel wurde „völlig zerbrochen“ im Turm der Kirche gefunden und von Walter Müller-Wulckow für das Landesmuseum Oldenburg erbeten, wo sich schon eines der Kalotten-Zwickelfelder befand. Die Museumswerkstatt stellte für die Schausammlung eine Rekonstruktion mit Ergänzung der Stützen für die mittlere Laterne her; für die Wiederanbringung des Deckels über dem Becken in Varel wurden sie im Jahre 1998 durch neue kürzere Säulen ersetzt und der überkommene beschädigte Zustand der originalen Fassung gefestigt und mit der Holzsubstanz gesichert; eine Befunduntersuchung ergab, dass auch hier zuunterst jene Lasur der Holzoberflächen wie am Altar festzustellen ist, die noch vor der bald nach der Aufstellung erfolgten farbigen Fassung aufgebracht worden war. Auch hier ist, wie an der Kanzel, zu vermuten, dass die unterschiedlichen Materialien von Korpus und Schalldeckel, von Becken und Deckel, von Sandstein, Alabaster und Holz, durch eine gemeinsame Fassung eine einheitliche ästhetische Wirkung erzielen sollten.

Signiert und datiert auf der kreisförmigen Bodenplinthe mit vertieften Buchstaben:
+ M . LUDEWICH + MUNSTERMAN ++ BILTHOUWER . VAN HAMBROCH . FECIT . 1618 +

Ludwig Münstermann

Der Korpus des kelchförmigen Taufbeckens über kreisförmigem sechsfach unterteiltem Grundriss ist aus Sandstein gearbeitet, die Teile Fuß, Schaft und Kuppa dritteln die Höhe. Der Fuß erhebt sich auf einer hohen Plinthe, die Signatur und Datierung trägt. Den stark eingezogenen Schaft formt ein Zylinder, dem in enger Folge sechs Muschelnischen eingetieft sind, in denen Putten-Figuren stehen, die als Allegorien der Paradiesesflüsse und des Jordan Wasser aus einer Urne gießen, wie es das einzige Original in der Nische zur Linken der Figur des Johannes d. T. als Fragment in Händen hält. An der Vorderkante des Fußes stehen auf flachen gekehlten Volutensockeln die Figuren der Evangelisten mit ihren Attributen, dazu Johannes der Täufer (einzig original bis auf den ergänzten linken Arm) und der Salvator. Die von der Firma Boschen gänzlich in Speckstein neu geschaffene plastische Dekoration der Kuppa wirft Zweifel an der Originalität auf: Die geflügelten Hermen finden stilistisch wie ornamental keine Vergleichsbeispiele im Werk Münstermanns, sie sind Neuschöpfungen, um die ursprünglichen aber verlorenen biblischen Tauf-Szenen und ihre Präfigurationen an dieser Stelle zu ersetzen.

Über dem ausladenden Kranzgesims des hölzernen Deckels wölbt sich die Kalotte, sechsfach geteilt von je einer reich und phantasievoll gestalteten Rollwerk-Spange, die in mehrfach gestuften Volutenschwüngen zum Scheitel hinaufsteigt. Zwischen diese aus Eichenholz gefertigten konstruktiven Teile sind aus Weichholz sechs virtuos geschnitzte zwickelförmige Kalotten-Segmente eingefügt: die Fläche ist jeweils bedeckt mit Beschlag- und Rollwerk-Ornamentik als Rahmung für die Kartusche mit einem Porträt-Relief. Deren Rahmungen mit ihren Inschriftfeldern
und die sie aufnehmenden Ornamentsysteme, welche auch wild turnende Putten beherbergen, sind für jeden Fall eigens und abweichend gestaltet; es wechseln dabei kreisförmige und rechteckige Rahmen mit oberen Bogenabschlüssen für die Porträts in regelmäßiger Folge. Die dargestellten Personen der zerstörten Brustbilder sind auf Grund der les- und erschließbaren Inschriften identifizierbar: JOHAN HUS / D. M. L. [D. Martin Luther] / M. P. M. [Mag. Philipp Melanchthon] / [Johann] CASELIUS [1533–1613] / [Aegidius] HUNNIUS [1550–1603] / CHRISTIANUS REX [Cristian III. von Dänemark (1503–1559)]; insgesamt Reformatoren, Theologen, Einführer der Reformation und Verteidiger des rechten Glaubens, der sich im Verständnis des Sakraments der Taufe manifestiert.
Die Balustersäulen des unteren Baldachins sind Ergänzungen, so wie die über der Weltkugel schwebende Taube hoch über dem erhaltenen oberen kleineren Baldachin.

Als Vorbild für die künstlerisch anspruchsvolle Gestaltung dieses auch im Oeuvre Münstermanns ohne Vergleich erhaltene Werk könnte das Taufbecken angesehen werden, das von dem berühmten Frans Floris aus Antwerpen in die Kapelle von Schloss Sonderborg geliefert worden war, und welches das Delmenhorster Grafenpaar vielleicht anlässlich eines ihrer Familienbesuche bei den dänischen Verwandten bewundert hatten. Es sei denn der entsprechende Kupferstich reichte als Vorlage aus.

Die Virtuosität, mit der Münstermann die bildhauerischen Holzarbeiten am Deckel des Taufbeckens in seinem persönlichen Stil ausführte, ist trotz der großen Substanzverluste höchst bemerkenswert und innerhalb seines erhaltenen Oeuvres in dieser Konzentration geradezu überwältigend; der Deckel in seiner ungewöhnlich monumentalen Ausladung, offenbar bezugnehmend auf die Maße der übrigen Prinzipalstücke im Chor, zeigt sich in hervorragender und wunderbar-souverän ponderierter Proportionierung zum eher zierlich tragenden Becken, das in seinem durchbrochenen Charakter im erhaltenen Werk des Meisters ebenfalls einzig dasteht.
Eine grundlegende Restaurierung, nach der vorliegenden Befundrecherche mit ergänzenden Retuschen der Fassung, nicht zuletzt unter Berücksichtigung der bekannten Gipsabgüsse der originalen Skulpturen, ist deshalb dringend erwünscht.

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